Inhaltsverzeichnis
- 1 Semistrukturiertes Interview «einfach erklärt»
- 2 Definition: Semistrukturiertes Interview
- 3 Übersicht über das semistrukturierte Interview
- 4 Wie man ein semistrukturiertes Interview führt
- 5 Semistrukturiertes Interview: Beispiel
- 6 Semistrukturiertes Interview: Do’s & Don’ts
- 7 Die verschiedenen Interviewformen
- 8 Häufig gestellte Fragen
Das semistrukturierte Interview ermöglicht die gezielte Erhebung qualitativer Daten anhand eines festgelegten Forschungsinteresses. Zugleich birgt es das Potenzial, neue Forschungsfelder zu erschließen und überraschende Ergebnisse zu liefern. In diesem Artikel erfährst du, was ein semistrukturiertes Interview ausmacht, wo es im wissenschaftlichen Diskurs zu verorten ist und wie du es für deine Arbeit verwenden kannst.
Definition: Semistrukturiertes Interview
Das semistrukturierte Interview ist eine empirische Methode, die Daten durch die (unmittelbare) Befragung von Einzelpersonen und Gruppen erhebt. Es ist neben dem strukturierten und dem unstrukturierten Interview eine von drei übergeordneten Interviewformen. Ein semistrukturiertes Interview zeichnet sich dadurch aus, dass es zwar über ein im Vorfeld antizipiertes Konzept, ein dezidiertes Forschungsinteresse und ausformulierte Fragen verfügt, im Verlauf des Gesprächs jedoch davon abweichen darf. Dieses Konzept ist der Interviewleitfaden.
Darüber hinaus können die Befragten im Gegensatz zum strukturierten Interview eigenständige Antworten formulieren, anstatt aus festgelegten Antwortmöglichkeiten wählen zu müssen. Die auf diese Weise erlangten Daten dienen der qualitativen Forschung. Sie können nicht (ohne Weiteres) in eine Statistik übersetzt werden, liefern jedoch Belege für die Existenz bestimmter Phänomene und Meinungen. Ferner dient das semistrukturierte Interview dazu, unerwartete Entdeckungen zu machen und spontan vertiefen zu können.
Semistrukturierte Interviews werden auch als halbstrukturierte, teilstandardisierte oder teilstrukturierte Interviews bezeichnet. Zudem ist der Begriff «Leitfadeninterview» gebräuchlich.
Übersicht über das semistrukturierte Interview
Jedes semistrukturierte Interview verfügt über einen Leitfaden. Dieser ist auf das jeweilige Forschungsinteresse ausgerichtet und dient der fragenstellenden Person als Anleitung, um das Interview durchzuführen. Darin enthalten sind die:
- zu stellenden Fragen,
- ihre Reihenfolge,
- optionale Zusatzfragen und
- Anweisungen,
nach denen das Interview gestaltet werden soll, wenn das Gespräch in eine bestimmte Richtung verläuft. Je nach Grad der Strukturierung kann der Leitfaden mehr oder weniger umfangreich gestaltet sein. Ein besonders detailliert ausgearbeiteter Leitfaden ist auf viele Eventualitäten vorbereitet, während ein kürzerer Leitfaden das Gespür und die Improvisationsfähigkeit der fragenstellenden Person fordert.
In jedem Fall gehört ein semistrukturiertes Interview der qualitativen Forschung an. Durch die freie Beantwortung der Fragen liefert es keine quantitativ-vergleichbaren Ergebnisse, sondern sprachliche Informationen und Einzelbelege, die anhand der fachspezifischen Methodik interpretiert werden müssen.
Im Gegensatz zum semistrukturierten Interview stehen das unstrukturierte und das strukturierte Interview. Das unstrukturierte Interview verzichtet auf einen Leitfaden und betont die freie Gesprächssituation mit der befragten Person. Das strukturierte Interview verfügt über einen vollständig verbindlichen Fragenkatalog mit festgelegten Antwortmöglichkeiten. Anders als das semi- und unstrukturierte Interview liefert es quantitative Daten, jedoch keine Aussicht auf Phänomene, die außerhalb der Forschungsfrage liegen.1
Semistrukturierte Interviewformen
Das semistrukturierte Interview lässt sich in verschiedene Unterarten unterteilen:
- Leitfadeninterview
- Es wird ein Fragenkatalog in provisorischer Reihenfolge vorbereitet. Die fragenstellende Person darf (nur) bei Bedarf vom geplanten Leitfaden abweichen.
- Problemzentriertes Interview
- Das problemzentrierte Interview ist ein Leitfadeninterview, das sich auf einen bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen Problemkomplex fokussiert. Dabei geht es vornehmlich um die Erfahrungsberichte der befragten (oft betroffenen) Person(en).
- Experteninterview
- Das Experteninterview holt das Fachwissen einer Person ein, die Experte auf dem zu behandelnden Gebiet ist.
- Gruppendiskussion
- Hierbei findet die Befragung im offenen Diskurs statt. Die fragenstellende Person moderiert ein Gruppengespräch im Rahmen der Forschungsfrage. Dabei pflegt sie Fragen in die Debatte ein und erschließt (unter anderem) die Meinungen der teilnehmenden Personen.
Wann ist das semistrukturierte Interview nicht geeignet
Trotz der vielen Möglichkeiten, in denen ein semistrukturiertes Interview eingesetzt werden kann, gibt es Situationen, für welche sich semistrukturierte Interviews nicht eignen:
- Erhebung statistischer Daten
- Für eine quantitative Studie, die Aussagen über eine Grundgesamtheit treffen möchte, sind strukturierte Interviews besser geeignet.
- Bei biografischen Fragen
- Wenn die befragte Person (zuvor unbekannte) Stationen ihres Lebens nacherzählen soll, ist ein unstrukturiertes Interview besser geeignet, da sich hierfür kaum Fragen vorbereiten lassen.
- Feste Reihenfolge des Versuchsaufbaus
- Falls die Reihenfolge der Fragen einen zu beobachtenden Einfluss auf die Antworten der befragten Person haben soll, ist entweder ein strukturiertes oder ein semistrukturiertes Interview mit strengem Leitfaden angebracht.
Vor- und Nachteile des semistrukturierten Interviews
Alle Forschungsmethoden verfügen über ihre eigenen Vorteile, aber auch über ihre eigenen Nachteile. Auch das semistrukturierte Interview weißt sowohl Vorteile, als auch Nachteile auf:
Vorteile | Nachteile |
Flexible Anpassungen möglich | Nicht repräsentativ |
Großes Anwendungsgebiet | Abweichung von der Forschungsfrage möglich |
Intersubjektive Durchführbarkeit | Verschiedene Interpretation der Ergebnisse möglich |
Freie Antwortmöglichkeiten2 | Einfluss der fragenstellenden Person |
Wie man ein semistrukturiertes Interview führt
Die Durchführung eines semistrukturierten Interviews lässt sich auf ein einfaches Schema herunterbrechen. Dabei sind die folgenden vier Schritte zu beachten.
Bevor du ein semistrukturiertes Interview durchführst, musst du einen Leitfaden konzipieren, der den thematischen Rahmen vorgibt, optionale Zusatzfragen bereithält und etwaige Freiräume markiert. Du bist nicht vollständig an diesen Leitfaden gebunden, solltest ihn jedoch dazu nutzen, das Interview auf dein Forschungsinteresse auszurichten. Ansonsten gewinnst du Daten, für die du keine Verwendung hast.
Nachdem der Leitfaden steht, benötigst du Personen, die sich als Interviewteilnehmer für dein spezifisches Forschungsinteresse eignen. Nicht jede befragte Person liefert Antworten von gleicher Aussagekraft. In einem problemzentrierten Interview zur Arbeitsmarktsituation während der Ölkrise 1973 wäre es vorteilhaft, wenn die befragten Personen in diesem Zeitraum tatsächlich in einer betroffenen Branche tätig waren.
Nun führst du das Interview durch. Finde einen leicht beantwortbaren Einstieg und bemühe dich um offene Fragen, die dein Gegenüber nicht zu bestimmten Antworten nötigen. Bedenke, dass ein semstrukturiertes Interview jederzeit an interessante Antworten oder die Befragungssituation angepasst werden kann. Zeichne das Interview mindestens als Tonaufnahme auf, um es später auswerten zu können.
Zuletzt wertest du dein semistrukturiertes Interview anhand fachspezifischer Methodik aus. Dafür musst du es zunächst transkribieren. Die nachfolgende Interpretation findet schriftsprachlich (nicht mathematisch) statt. Das bedeutet, dass du deine Ergebnisse in Worten und nicht in Zahlen festhältst, was charakteristisch für qualitative Ergebnisse ist. Quantitative Ergebnisse würden hingegen als Zahlen festgehalten werden.
Semistrukturiertes Interview: Beispiel
Im Folgenden haben wir für dich ein Beispiel zur besseren Verständnis vorbereitet.
Semistrukturiertes Interview: Do’s & Don’ts
Möchtest du selber ein semistrukturiertes Interview durchführen, haben wir hier nochmal die wichtigsten Tipps für dich zusammengeschrieben.
- offene Fragen, um freie Antwortmöglichkeiten zu gewährleisten
- Orientierung am Leitfaden; Abweichungen zugunsten weiterer Erkenntnisse möglich
- neutrale Atmosphäre herstellen
- verständlicher und eindeutiger Sprachstil
- Suggestivfragen oder geschlossene Fragen, die nur ein Ja oder ein Nein als Antwort zulassen
- zu große Abweichungen vom Leitfaden (da sonst die Forschungsfrage aus dem Blick gerät)
- mimische/verbale Bewertung der Antworten
Die verschiedenen Interviewformen
Welche Interviewform sich für ein Forschungsprojekt eignet, hängt von seinen spezifischen Bedürfnissen ab. Diese Übersicht hilft dir, das geeignete Format zu finden:
unstrukturiert | semistrukturiert | strukturiert | |
Neue Erkenntnisse | Ja | Ja | Nein |
Vorformulierte Fragen | Nein | Ja | Ja |
Festgelegte Antworten | Nein | Nein | Ja |
Anschlussfragen | Ja | Ja | Nein |
Feste Reihenfolge | Nein | Nein | Ja |
Repräsentative Daten | Nein | Nein | Ja |
Häufig gestellte Fragen
Ein semistrukturiertes Interview verfügt über einen vorher festgelegten Fragenkatalog, ermöglicht der befragten Person jedoch, Antworten individuell zu formulieren. Darüber hinaus darf die fragenstellende Person Fragen improvisieren und die Reihenfolge der Fragen frei antizipieren.
Ein semistrukturiertes Interview generiert qualitative Daten durch die Befragung von Personen oder Personengruppen. Es ist dazu geeignet, Forschungsmaterial zu sammeln, Phänomene sichtbar zu machen und neue Forschungsfelder zu erschließen.
Wenn du in deiner Arbeit qualitative Forschung betreiben möchtest, kann ein semistrukturiertes Interview die empirische Grundlage dafür bieten.
Ein semistrukturiertes Interview greift auf zuvor festgelegte Fragen zurück, die einem bestimmten Konzept folgen und auf ein dezidiertes Forschungsinteresse ausgerichtet sind. Während ein semistrukturiertes Interview zwar von diesen Fragen abweichen darf, verfügt das unstrukturierte Interview gar nicht erst über ein festgelegtes Konzept.
Das semistrukturierte Interview ist nicht geeignet, um repräsentative Daten zu erheben. Es erlaubt Aussagen über die Existenz und nähere Beschaffenheit bestimmter Meinungen, Einschätzungen und Phänomene, nicht jedoch über ihre statistische Relevanz.